a |
Robert Menasse SERBIEN: UND WAS IST IHRE MEINUNG? Mitverantwortlich für den ersten militärischen Einsatz deutscher Soldaten außerhalb Deutschlands seit 1945 ist ein grüner, zum Außenminister promovierter Pazifist. Den Angriff eines Verteidigungsbündnisses rechtfertigt er mit dem Satz: Aggression darf sich nicht lohnen! Mitverantwortlich für den weiteren Aufschub des angesagten Ausstiegs aus der Atomenergie ist ein grüner Umweltminister. Verantwortlich für die Inthronisation eines Rechtsextremisten als Regierungschef eines österreichischen Bundeslandes sind jene beiden Parteien, deren einziges Wahlversprechen die Verhinderung dieses Politikers war, und die gemeinsam immer noch über eine bequeme Mehrheit verfügen. Verantwortlich für Bomben auf Belgrad, Novi Sad etc., zum Schutz einer Separatistenbewegung, der Albaner, ist das Militärbündnis von Ländern, die seit Jahrzehnten die Separatisten zu Hause als Terroristen bekämpfen: Spanien (die Basken), England (die Nordiren), Türkei (die Kurden) und des Landes (BRD), das es als selbstverständlich ansieht, daß eine Separation letztendlich zu einer Widervereinigung führen muß, und zwar ausschließlich nach den Regeln und Bedingungen der Stärkeren. Bombenflugzeuge zum Schutz der Albaner starten von Flughäfen jenes Landes (Italien), von dessen Häfen die Schiffe mit Albanern wieder ins offene Meer zurückgeschickt werden. Tiefes Verständnis für all das zeigt der Kanzler eines Landes (Österreich), in dem ethnische Minderheiten den staatsvertraglich zugesicherten Anspruch auf Ortstafeln und Unterricht in der eigenen Sprache seit über einem halben Jahrhundert nicht erfüllt bekommen. Befriedigung über die militärische Bestrafung eines Neuen Hitlers zeigen auch Menschen, die bei anderer Gelegenheit einen kleinen Hitler nicht schlecht fänden. Ehemalige Kalte Krieger, für die die Russen der Inbegriff des Teuflischen waren, gehen heute mit aller Seelenruhe davon aus, daß die Russen sich kaufen lassen. Unbestechliche Intellektuelle sitzen in Kaffeehäusern und hoffen, daß die Russen sich wirklich kaufen lassen. Als die östlichen Sozialisten vor einunddreißig Jahren die Tschechoslowakei überfielen, war die westliche Welt zurecht empört und heute erklären die westlichen Sozialisten, daß ein Militärschlag auf ein anderes Land die Moral befördere. In den Schulen der NATO-Mitgliedstaaten wird politische Bildung unterrichtet, bis selbst angehende Metzger und Schreiner die Frage Was ist die UNO? im Schlaf beantworten können, und es werden im Geschichteunterricht die Greuel der ersten Hälfte des Jahrhunderts so lange heruntergebetet, bis selbst die aufgewecktesten Schüler schläfrig Nie wieder! und die schläfrigsten Schüler aufgeweckt Nie wieder! sagen. Kaum werden solche Nie-Wieder-Schüler Journalisten, sehen sie so lange aktuelle Parallen zu den Bedingungen und Voraussetzungen des 2. Weltkriegs, bis sie den dritten herbeigeschrieben haben werden. Sie impfen sich mit Moral, während sie die Wunden lecken, die sie selbst schlagen, und haben, Nie Wieder!-Wimpel schwenkend, für die UNO das Völkerbund-Schicksal bereits reserviert. Wenn völkerrechtliche Legitimität nicht erhältlich ist, dann muß globales Recht eben zugunsten der Moral eines Weltteils abdanken. Mit der Begründung, daß Menschenrecht vor Völkerrecht komme, argumentieren heute jene, die gestern noch volksbildend verbreiteten, daß die Entwicklung des Völkerrechts seit 1945 eine Konsequenz der Menschenrechtsverletzungen von vor 1945 war. Der vom Völkerrecht unabhängige Menschenrechtsbegriff bedeutet zwar, daß Menschenrecht auch vor Menschenleben kommt und genau dies vermittelt ihnen das Gefühl einer überlegenen Moral. Ein irritierendes Vexierbild bei dem nur eine einzige Sehweise möglich und zulässig erscheint: Bei der TV-Lifeschaltung in das sogenannte Krisengebiet wird der dort befindliche Korrespondent von der Nachrichtensprecherin gefragt, welche Informationen er von den lokalen Medien habe Antwort: Dieselben wie Sie zu Hause! Wir schauen die ganze Zeit CNN! Und wenn sich dagegen eine polemisch-kritische Stimme erhebt, kommt sie ausgerechnet von einem österreichischen Dichter, der ausgerechnet dem deutschen National-Heiligtum Goethe nacheifert, ausgerechnet in einer Metropole wie Paris wie in Stifters Hochwald lebt, und ausgerechnet in diesem Spannungsfeld keine Sprache findet, die ein denkendes Gemüt nachvollziehen kann. Und dazu soll ich eine Meinung haben? Ausgerechnet eine Meinung? |
a |