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György Konrád WER HAT IHNEN EIN RECHT DAZU GEGEBEN? Ich sitze in einer Ecke im Garten, umgeben von einer Feldsteinmauer, von Holunderbüschen und einem Nußholztisch. Üppig duftender, hedonistischer Minimalismus, angenehm selbst das, was es hier nicht gibt. Bombardierungen finden hier keine statt, nur im Morgengrauen ist das verhallende Dröhnen der Bombenflugzeuge zu hören. Sie fliegen ihr Ziel an und kehren von dort zurück, mitten im Fadenkreuz leuchtet eine züngelnde Flamme auf. Wie im Computerspiel Halbwüchsiger, wenn sie den entsprechenden Knopf rechtzeitig betätigen. Hier im Garten habe ich das Gefühl, als machten großgewachsene kleine Jungen diesen Krieg. Jetzt ist die Reihe an ihnen, die Show wird ihnen niemand stehlen, sie werden der Welt zeigen, wofür das Kriegbudget verwendet wird, das ist ihr Prüfungsauftritt. Es gelingt ihnen, ihr unerbittliches Gesicht und das Photo der zerstörten Novi Sader Brücken zu präsentieren. Überall in Europa stoßen die Bombardierungen auf Mißbilligung. Im privaten Gespräch. In der Öffentlichkeit weniger. Die Opponenten müssen befürchten, als Fünfte Kolonne, als Vaterlandsverräter beschimpft zu werden. Dem Luftkrieg der größten Mächte der Welt gegen ein kleines mitteleuropäisches Land kann ich nicht mit Wohlgefallen zusehen. Die mir allmorgendlich über die Medien zur Kenntnis gebrachten Luftschläge, die auch bisher schon mehrere hundert Menschen das Leben gekostet haben und für Jahrzehnte die Wirtschaft des südlichen Nachbarn ruinieren, kann ich nicht billigen. Ich bin ein sechswöchiger NATO-Bürger, in einer solchen Qualität bombardiere ich seit fünf Wochen Jugoslawien, obwohl ich dies gar nicht tun will. Daß die albanische Massenflucht wegen der Bombardierungen eingesetzt hätte, behaupte ich nicht, doch daß sie nach deren Beginn in Gang gekommen ist, das schon. Bisher bedeuteten die westlichen Demokratien etwas Gutes. Jetzt verbindet sich mit ihnen das Verprügeln des Kleinen durch die Großen. Der Kleine schlägt den noch Kleineren. Der noch Kleinere ruft die Großen zu Hilfe. Gegen die Großen kann der Kleine nicht viel ausrichten, seine Wut läßt er am noch Kleineren aus. So also haben die Großen den Kleinsten gut beschützt. Tatsache ist, daß sie auch den Kosovo zerbomben, dem sie angeblich doch Beistand leisten. Die beiden sich feindselig gegenüberstehenden Völker und obendrein sich selbst haben sie in hysterischen Wahn getrieben. Die von den Großen angeordneten Bombardierungen nehmen an Intensität, Brutalität und Vernichtungskraft ständig zu. Im Interesse der Albaner haben sie einen Krieg begonnen, doch diese tatsächlich zu verteidigen, Mann gegen Mann, dazu waren sie nicht bereit. Wer hätte allen Ernstes gedacht, durch Luftangriffe aus fünftausend Meter Höhe könnten die Albaner vor den serbischen Militärverbänden beschützt werden, die wegen der Bomben in Rage geraten sind. Daß die UÇK demokratischer wäre als die serbischen Behörden, glaube ich nicht. Weshalb sollte ein Muslim besser sein als ein Griechisch-Orthodoxer? Weshalb sollte die Sache der Gläubigen der einen Religion wahrhaftiger sein als die der anderen? Alle Bewohner des Balkans sind unsere Nachbarn; deren Probleme gehen auch uns etwas an. Zwei Völker erheben Anspruch auf ein Territorium: ein unheilverkündender Irrtum, nationalistische Rhetorik mit den Menschenrechten zu vermischen. Neunzehn Weißhüte schlagen gemeinsam einen Schwarzhut Nationalismus auch das. Denn wer hat den Weißhüten dazu ein Recht gegeben? Ihr Gewissen? Irgendeine Ermächtigung internationalen Rechts? Oder irgendeine hypothetische Buchhaltung, die Resultat und Kosten der Aktion gegeneinander abwägt? Besitzt dieser heute noch von Luftstreitkräften und morgen vielleicht schon von Bodentruppen geführte Krieg eine demokratische Legitimation? Nachdem die grundlegenden Entscheidungen über Leben und Tod den führenden Körperschaften der NATO zufallen und von den nationalen Parlamenten im nachhinein zumeist gebilligt werden, ist die Frage begründet, in welchem Maße verfügt eine solche Entscheidung wie der Luftkrieg gegen Jugoslawien, der angeblich, ohne eine andere Alternative aufzuweisen, ein Instrument zur Durchsetzung der Menschenrechte wäre, über eine demokratische Vollmacht? Daß die ungarische Regierung und das ungarische Parlament einen solchen Entschluß aus eigenem Antrieb nicht gefaßt hätten, Rumänien, Bulgarien und Mazedonien ebenso nicht, darf als sicher angenommen werden. Die Führungselite Albaniens, Bosniens, Kroatiens und Sloweniens hätte Belgrad, Novi Sad, Pan&Mac255;cevo, Kragujevac, Ni&Mac255;s, mitteleuropäische Städte, ebenfalls nicht bombardiert. Nicht einmal in seinen schrecklichsten Träumen hätte ein Ungar daran gedacht, zum Schutz der Kosovo-Albaner die Brücken in Novi Sad zu bombardieren. Wir sind weniger kämpferisch geartet als die Westeuropäer, wir haben noch nicht jenen Grad medialer Abstraktion erreicht, der für die westlichen Gesellschaften typisch ist, deren Bürger sich aufgrund von Text- und Bildnachrichten einen schnellen und allgemeinen Eindruck von einem Land verschaffen können, das sie nicht kennen. Etwa deshalb, weil sie vom Schauplatz weiter weg sind? Weil sie sich mit dem Piloten identifizieren, der das Ziel ins Fadenkreuz nimmt, und siehe da, ein Aufflammen, auf der Erde ein riesiges Feuer und die Freisetzung von Giftgasen. Ich hege den Verdacht, die Mitteleuropäer zögern, sich mit den Tätern zu identifizieren, denn solche sind die Militärs alle: die Vertreiber der albanischen Familien, die uniformierten Banditen, die ihre Opfer in die Massengräber schießen, und auch die feschen Piloten, deren Ziel das Töten nicht ist, doch von Fall zu Fall ein nicht abzuwehrendes Nebenprodukt. Sollte es der NATO erlaubt sein, ohne angegriffen worden zu sein, quasi aus pädagogischen Erwägungen die Städte anderer Länder zu bombardieren? Um die mitteleuropäische Haltung zu interpretieren, würde ich empfehlen, den Umstand zu berücksichtigen, daß unsere Gesellschaften auch ohne Schießereien normale parlamentarische Demokratien zustande gebracht haben. Von vornherein haben wir über eine gewaltfreie Strategie nachgedacht, über die auch von außen unterstützte Methode der Erosion, der inneren Aufweichung, die zur Wende von 1989 geführt hat. Dabei waren auch der Warschauer Vertrag und der Parteistaat kein leeres Geschwätz oder Papiertiger. Die Haltung der Mitteleuropäer basierte auch auf jener moralischen Reflexion, die das biblische Gebot Du sollst nicht töten ernstnimmt und sich die Minimierung der Gewalt zum Ziel setzt, eine tötungsfreie Politik. Auf staatliche Gewalt haben wir nicht mit andersartiger Gewalt reagiert, stattdessen haben wir in das öffentliche Bewußtsein der Gesellschaft eine andersartige Sprache und Denkweise eingeführt, wodurch das Bewußtsein der Entscheidungsträger von innen verunsichert und beeinflußt worden ist. Es gibt eine mitteleuropäische Solidarität, in der die Greuel nebeneinander betrachtet werden, und niemand denkt, dieses sei eine gute Grausamkeit, weil von unseren Verbündeten begangen, und jenes eine böse, weil dem Konto des boshaften Feindes anzulasten. Selbst wenn sie Jugoslawien noch nie besucht haben sollten, die Mitteleuropäer können sich aufgrund der eigenen Lebenserfahrungen vorstellen, wie den Menschen dort zumute sein muß. Unsere Verwandten und Freunde leben da drüben. Die Wojwodina ist ein bunter ethnischer Teppich, dort triffst du Serben an, Ungarn, Kroaten, Rumänen und Slowaken, schwer um ihre Existenz ringende Menschen, deren Arbeit die Brücken zu verdanken sind, das Treibstofflager, der Fernsehsender und alle Gebäude. In einer an Gebäuden armen Gegend ist Verschwendung nicht angebracht, zumal die Trümmer von gestern noch nicht beseitigt sind. Was für eine Idee, neue Trümmer zu machen! Der Mitteleuropäer versteht sich eher als kleiner Mann, die Geschichte will er eher überleben als machen, also sieht er sich lieber das Opfer als die Mächtigen an. Das selbstsichere Umsichschlagen gefällt ihm nicht. Weshalb sollte aus der Luft nach dem Zufallsprinzip ein Dritter getötet werden müssen, wenn der eine jugoslawische Staatsbürger dem anderen etwas antut? Die NATO ist böse auf Milo&Mac255;sevi´c und tötet deshalb als unbeabsichtigte Nebenwirkung des Bombardements x-beliebige jugoslawische Bürger. Was für eine Gerechtigkeit soll das sein? Worin besteht die sittliche Grundlage dieser militärisch-kollektivistischen Moral? |
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