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Gerhard Botz


DIE BLEIBENDEN ZIVILISATIONSSCHÄDEN

DES KOSOVO-KRIEGS


Der neunzigtägige Luftkrieg um den Kosovo ist beendet, vorerst.

Der beispiellose völkerrechtswidrige Krieg westlicher Demokratien um den Kosovo hat neue Ausgangsbedingungen für das 21. Jahrhundert in Europa geschaffen. Er hat politisch-gesellschaftliche Problemzonen und Spannungslinien, die sich in mehr als fünfzig Jahren Nachkriegserstarrung und in zehn Jahren postkommunistischer Euphorie aufgebaut hatten, offen gelegt. Er wurde für Hunderttausende der albanischen Vertriebenen und Flüchtlinge im Kosovo, in den Aufnahmeländern und im restlichen Jugoslawien ein Desaster, das sich allerdings schon zuvor abgezeichnet hatte.

Die Verletzung von demokratischen und humanitären Grundrechten in Jugoslawien sollte um den Preis einer Verletzung des internationalen Kriegsrechts, des Bruchs der UN-Charta, einer Umgehung der NATO-Einsatzbedingungen und von Verstößen gegen die Verfassungen vieler der beteiligten Demokratien beendet werden.

Die „Luftschläge“ und Raketen-„Operationen“ der USA und ihrer NATO-Verbündeten sind vorüber, ohne daß westliche Bodentruppen zunächst zum Einsatz gekommen und die Folgen einer solchen Eskalierung vollends unkontrollierbar geworden sind. Die Siegermächte haben über den Kosovo ein „internationales Protektorat“ errichtet, ihn in Besatzungszonen aufgeteilt und sind darüber mit russischen Militärs und Prestigedenkern, die wie der „ehrliche Makler“ Bismarck ihren Anteil an der Beute fordern, in (einen symbolischen) Streit geraten.

Beide Seiten deklarieren sich als Sieger. Der militärisch erfolgreiche Goliath hat die hehren Ziele, die ihn anfangs geleitet haben (wollen), vergessen: Schutz der Albaner im Kosovo, Rettung vor Mord, Vergewaltigung und Vertreibung, Unterbindung „ethnischer Säuberungen“, Sturz von Milo&Mac255;sevi´c und seines Regimes; Minimierung der zivilen Schäden, möglichst wenige Menschenopfer.

Doch das, was stark an eine Neuauflage des „frisch-fröhlichen Kriegs“ der deutschen und österreichischen Militärs der Zeit vor 1914 erinnerte, ist weitgehend ein Fehlschlag geworden, wie selbstkritische NATO-Politiker und immer mehr Bürger und Bürgerinnen der westlichen Demokratien einräumen. Der Krieg hat das Übel, gegen das er gerichtet gewesen ist, nicht nur nicht verhindert, sondern eher verschärft.

Milo&Mac255;sevi´c ist weiterhin im Sattel, der serbische chiliastische Nationalismus fühlt sich gedemütigt, neuerlich durch ein „Opfer“ geheiligt und bestätigt. Er versteht sich als Sieger, weil er einer „Verschwörung“ (fast) des gesamten Westens so lange standgehalten hat. Die demokratische innerjugoslawische Opposition hat es vorerst noch schwerer, für (westliche) demokratische und zivilgesellschaftliche Ideale einzutreten in einer Bevölkerung, die nicht nur wirtschaftlich um Jahrzehnte, sondern auch politisch in die Reihen des jugoslawischen Präsidenten „zurückgebombt“ wurde.

Der Kosovo ist auf weiten Strecken verwüstet, kontaminiert, entvölkert. Diejenigen, um deren Unterstützung diese Art „humanitärer Aktion“ unternommen worden ist, sind meist zu Hunderttausenden in Flüchtlingslager der Nachbarstaaten gepfercht oder über ganz Europa verstreut. Nur ein kleiner Teil von ihnen wird in absehbarer Zeit, wohl kaum vor dem nahen Herbst und Winter, in ihre Heimat zurückkehren können. Die unmittelbaren Nachbarländer Mazedonien, Albanien und die jugoslawische Teilrepublik Montenegro sind destabilisiert. Die ganze Region scheint politisch noch unsicherer zu sein, als sie es zuvor schon gewesen ist. Die kulturellen, ethnischen und sozialen Konflikte auf dem gesamten Balkan sind nicht verringert, sondern in den Kriegs- und „Säuberungs“-Gebieten nunmehr auf Jahrzehnte praktisch unüberwindbar geworden. Eine Teilung des Kosovo ist näher gerückt denn je, seine Anrainerstaaten könnten folgen. Neue staatliche und innerstaatliche Konflikte sind vorhersehbar, rufen neuerlich geradezu nach „Interventionen“ und einer „Neuordnung“ des Kleinstaaten-Teppichs.

Die wirtschaftliche, verkehrsmäßige und politische Lage auch in den anderen südosteuropäischen Ländern ist gravierend verschlechtert. Es ist unschwer vorauszusehen, daß die vom Westen angebotene Wirtschaftshilfe nicht ausreichen, an gesellschaftliche und wirtschaftspolitische hegemoniale Bedingungen gebunden sein wird. Es scheint, als würde ganz Westeuropa mehr, als es ihm angenehm ist, zur Kasse gebeten werden, während sich die USA auf ihre militärischen Erneuerungsinvestitionen konzentrieren können.

Der russische Nationalismus und dessen militärischer Arm sind provoziert. Was die NATO, hätte sie den Krieg um den Kosovo als einen präventiven Eindämmungs- und Einschüchterungskrieg um die Ausdehnung ihrer Hegemonien auf Südosteuropa geführt, vielleicht vermeiden wollte, ist erst recht eingetreten: Moskau ist ins Spiel der internationalen Mächte zurück, es ist als Friedensvermittler unabdingbar gewesen, Chinas Zustimmung zu einer UN-konformen Balkanlösung wird für den Westen nicht zu umgehen sein.

Der Krieg in der europäischen Region ist (vorläufig) beendet, der Friede hier ist aus der inneren Logik des vorausgegangenen Kriegs prekär. Doch es steht zu befürchten, daß das zivilisatorische Zerstörungswerk in einem europa-, ja weltweiten Maßstab erst im „Nachkrieg“ vollendet werden wird. Vier Momente, die während des Kriegs um den Kosovo sichtbar und verstärkt wurden, sind es, die besonders beunruhigen:

– Die USA und die NATO haben sich über das internationale Regelungswerk des von ihnen mitgeschaffenen und lange Zeit getragenen UN-Sicherheitsrats hinweggesetzt und die Vereinten Nationen geschwächt, die – mehr schlecht als recht, aber immerhin – im Kalten Krieg über vierzig Jahre einen gewissen, manchmal ultimativen Konfliktausgleichs- und Friedensmechanismus dargestellt hatten. Ein „Weltpolizist“ ohne gesetzliche Basis gerät allerdings in den Verdacht eines imperialistischen Hegemons. Ein solches Odium würde zweifelsohne eine alte Demokratie wie die USA nicht verdienen.

– Krieg ist erstmals seit 1945 in Europa wieder massenhaft als ein legitimes Mittel der Politik dargestellt worden, von einer weitgehend einigen, wenngleich in vielen Ländern noch in Ausmaß der Zustimmung zögernden politischen Öffentlichkeit, in die sich bruchlos, in manchem die Konservativen übertreffend, die Sozialdemokraten und Grünen vieler Regierungen eingereiht haben. Was in mehreren mühsamen Ansätzen pazifistischer "Utopisten" und diplomatischer Praktiker seit Beginn des 20. Jahrhunderts, die herben Lehren aus dem Ersten Weltkrieg und der nationalsozialistischen Bedrohung ziehend, errungen worden war, ist heute wie weggewischt. Diesen Zustand der Legitimierung des Kriegs bestehen zu lassen, bedeutet, eine Wiederholung des Versuchs, durch Krieg politische Probleme zu lösen, und seine Ausdehnung auf andere „humanitäre“ Aktionen vorzudenken und vorzubereiten.

– Die Erinnerung an das ungeheuerliche Geschehen des Massenmordes an den Juden durch die Nationalsozialisten und ihre nicht nur deutschen, sondern auch österreichischen Gefolgsleute, die begonnenen und versuchten Genozide an den ethnischen und kulturellen Gruppen auf dem Balkan und im Osten des Dritten Reiches ist zu Kleingeld umgemünzt worden, das vielen Politikern und Medienleuten aller Seiten und Couleurs allzu leicht über die Lippen gekommen ist. Unter historisch falscher und demagogisch wirkender Berufung auf ein ärgstes historisches Verbrechen wurden gegenwärtige Rechtsbrüche und Gewaltanwendung gerechtfertigt. Was einmal funktioniert hat, wird wieder versucht werden, wenn nicht den Geschichtsverdrehern und Holocaust-Verharmlosern entgegengetreten wird.

– Auch nach der Einstellung der Bombardements sind Journalisten und einige Politiker emsig dabei, eine fehlgeschlagene Strategie in das Erringen einer endgültigen „Ordnung“ auf dem Balkan, in den „letzten Krieg“ in Europa umzumünzen. So war auch schon vor und während des Kriegs um den Kosovo argumentiert worden. Gerade die Anwendung der ärgsten Gewalt hat sich immer schon als ihre Anwendung als ein allerletztes Mal, als die endgültige Lösung, die spätere Gewalt überflüssig mache, auch als „Endlösung“ dargestellt. 1999 mag eine solche Argumentation nicht nur Wiederholung des dummen Geredes vom „Ende der Geschichte“ und von der „Jahrtausendwende“ sein, sie ist auch ein Zeichen des Fortlebens jenes gefährlichen Chiliasmus, der religiöse Nationalismen und politische Religionen nicht nur in Südost- und Mitteleuropa auch im 20. Jahrhundert mit den ärgsten Folgen heimgesucht hat. Damit geht das einher, was Religions- und Ideologiehistoriker als den tausendjährigen Manichäismus in Europa bezeichnet haben: das „absolut Böse“ ist in der Welt präsent, ihm gegenüber ist jedes Mittel gerechtfertigt. Gegensätze werden dadurch unüberwindbar, Konflikte unlösbar, Kompromisse gibt es nicht, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren. Der Kalte Krieg der Ideologien und Supermächte war zeitweise von diesem Schema geprägt. Die Erklärungen und Strategien beider Seiten im Kosovo-Krieg können als ein Lehrbeispiel dafür dienen, welche Konsequenzen Schwarz-Weiß-Denken hat, für ein Hinein-Gleiten in einen (wahrscheinlich) ungerechtfertigten und erfolglosen Krieg, für die Schwierigkeiten eines Friedens und eines dauerhaften menschlichen Kompromisses.

Es ist eine aktuelle Aufgabe für Wissenschafter aller Sparten, Kunstschaffende aller Richtungen und Medien, Intellektuelle, die sich den Versuchungen der geistig (selbst-)gleichgeschalteten Medien (auch der westlichen Demokratien) entziehen, sich auch nach dem Ende des Kriegs in der INITIATIVE ÄQUIDISTANZ unter einem Arbeitsprogramm zusammenzufinden, das der Soziologe Pierre Bourdieu folgendermaßen allgemein umschrieben hat: „Let us work collectively!, knowing full well this is very difficult. Each of us has his own ideas and contradictory thoughts, and often we just prefer to be silent, sometimes even out of modesty. But working collectively in a network will at the very least permit us to combine our competences.“1

Denn das 21. Jahrhundert sollte nicht von Aushöhlung der UNO, von „gerechtferigten Kriegen“, von leichtfertigen Holocaust-Vergleichen und von chiliastischem und manichäischem Denken in der Politik geprägt sein.

1 Pierre Bourdieu, The Intellectuals and the War, 18. 05. 1999, mpollak@panix.com (by the way of t byfield, <tbfield@p>)

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