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STOP THE VIOLENCE !!!
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Michael Benedikt



GEZIELTER TYRANNEBMORD
ODER ALTWARENGESCHÄFT
DER WAFFEN?


Allem vorweg: Jede Televisionssendung hat für den Autor – Nichtbesitzer eines Flimmerapparats – den Charakter eines Fascinosum tremendum. Die ersten Kriegsbilder des vierten Kriegs im Balkan in diesem schrecklichen Jahrzehnt, bei einem ehemaligen Kapitän zur See in Dubrovnik bestaunt und bis in den chemischen Schlaf als Alp in Verwirrung gestürzt, brachten uns dazu, das Thema des Internationalen Postgraduate-Kurses zwei Tage am 25. März 1999 zu unterbrechen und uns der Frage, was jetzt?, was morgen?, was nach dem wieder und noch einmal unerklärten Krieg? zu widmen.

Dalmatiner und Kroaten verwiesen uns auf die noch viel schrecklicheren Verwüstungen im Landesinneren Bosniens und Kroatiens, da wir nur per Auto die Diretissima von Wien– Zagreb–Split–Dubrovnik unter Scheuklappen vor den hunderten, nein tausenden Hausskeletten vorbeigefahren waren.

Serbische Kollegen hinwieder verwiesen auf die Ustascha-Verbände, auf die kommenden Gemetzel der Kosovo-Milizen, auf die ungerechtfertigten Sezessionsbestrebungen, von Teilrepubliken, die weit über die Autonomieverträge hinausgingen.

Wir mußten gestehen, daß wir der zu Mitte der achtziger Jahre seitens der Serbischen Akademie der Wissenschaften zu Beograd eingebrachten provisorischen Resolution ebensowenig entsprechendes Interesse entgegengebracht hatten und gegen diese Skizze zur bevorstehenden Gewaltausübung eben keinen entsprechenden Protest erhoben, uns somit an dem Status quo mitschuldig gemacht hatten. Ebenso war es mit den drei vorangegangenen Aggressionen, in die maximal durch Waffenverkäufe oder -lieferung seitens der Westmächte so etwas wie ein militärisches Gleichgewicht entstanden war, bis es zu der provisorischen Hufeisenlösung in Bosnien kam: Auch hier war das Gewissen der Intellektuellen Europas, mit wenigen Ausnahmen Ratio pigra, träge.

Aber auch die Frage nach dem Verhältnis von Völkerrecht, Staatsrecht (im Status eines Bürgerkrieges) und Weltbürgerrecht, jede einzelne Person betreffend, wurde, ebenso wie die Frage des Tyrannenmordes diskutiert.

Unsere Absicht, das internationale Kolloquium in Montenegro, zumindest in Sarajewo fortzusetzen, wurde von dem in Sarajewo akkreditierten OSZE-Berichterstatter, Dr. Knoll, mit dem wir stetig Kontakt hielten, dringend abgelehnt. All dies würde, seiner kompetenten Meinung nach, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur als Herausforderung einer Arena Unbeteiligter angesehen; man möge sich nach dem bevorstehenden Gemetzel einfinden.

Die ersten Bilder von Verwüstungen von zivilen Gebäuden, wohl zensuriert seitens des kroatischen Senders, präsentiert seitens der bosnisch-herzegowinischen Stationen, ließ uns das Augenmaß ständig durcheinanderlaufen: Kroaten, Dalmatiner und Kosovaren behaupteten, serbische Übergriffe seien schon seit Wochen der Regelfall, serbische Kollegen sahen nur gestelltes Szenario als Grund für jene neue Aggression, die den Präsidenten Clinton nach seinen innenpolitischen Desastern zumindest bis zum Ende seiner Amtszeit noch ungeschoren lassen sollte.

So tauchte die Frage immer wieder auf: Warum wurden nicht die vielgerühmten punktgenauen Waffen mit aller Wucht vom ersten Tag an, wenn schon ein Völkerrechtsbruch begangen war, auf alle wichtigen Ziele, den Helden Milosevic eingeschlossen, angesetzt? Warum war der Öffentlichkeit vorenthalten, daß es mehrere Rambouillet-Papiere gab, zuletzt eines, das durch Frau Albright mit zwei Sanktionen ausstaffiert und ,,emendiert“ worden, im wesentlichen durch folgende Punkte ,,ergänzt“ war:

1. Freier Zugang der NATO-Truppen und ihrer Organe zu allen jugoslawischen öffentlichen Einrichtungen.

2. Neuinstallierung der jugoslawischen (,,restjugoslawischen“) Konstitution und Verwaltung unter Militäraufsicht nach ,,westlichem“ demokratischen Muster – wogegen sich angeblich die russischen Unterhändler unter Tschernomyrdin quergelegt hatten.

3. Neuorganisation der jugoslawischen Wirtschaft nach dem Muster des westlichen Industriekapitalismus.

4. Als Endziel Einbindung Jugoslawiens in die NATO – als ob dieses Land an den Atlantik grenzte, wenn man von dem nach Selbständigkeit strebenden Montenegro absieht, das zumindest den altösterreichischen Adriahafen Cattaro zum Vorzeigen und zum Löschen überseeischer Fracht, auch französischen und englischen Rohöls, vorzuweisen hat.

Nach Österreich zurückgekehrt und nach drei Symposien zur Verwestlichung Europas, zum neuen Humanismus in den Ländern Südosteuropas, einschließlich Mitteleuropas, Tschechien und Österreich, sowie zur mikro- und makroökonomischen Situation und ihren Logiken angesichts der Lage jetzt – an der Wiener Wirtschaftsuniversität – stehen, vor allem auch nach den vielerlei Zusammenkünften mit der Initiative Äquidistanz, viererlei Befunde und ebensoviele Initiativperspektiven fest:

1. 1 In Parallele zu Ceaucescu ist dem vielgeplagten Land Serbien eine Regula exceptiva des Tyrannenmordes anzuraten. Warum die USA oder ihr CIA hier nicht schon längst Initiative ergriffen haben, ist unklar.

1. 2 Sollte es in allen vier Phasen des Krieges perverse Hinschlachtungen von Menschen gegeben haben, was nach makrokriminologischen Methoden (begleitet von traditionellen Methoden) festzustellen ist, sind die Schuldigen vor einem unabhängigen Gerichtshof, den die UNO aufgrund eines entsprechenden Anklägers einzuberufen hat, anzuklagen.

1. 3 Die in mindestens fünfhundert oder womöglich weit mehr Fällen gegen zivile Einrichtungen gerichteten Aggressionsschläge der NATO sind auf das peinlichste zu untersuchen und vor einen internationalen Gerichtshof zu bringen, nachdem ein Ankläger dem internationalen Gerichtshof seine Schrift überreicht hat.

1. 4 Vor allem ist zu prüfen und abzuwägen, ob nicht ein absichtlicher Abbruch der Rambouillet-Gespräche seitens der Westmächte vorlag, indem keine hinreichenden Güterabwägungen, gigantische Wirtschaftshilfe für den gesamten Balkanraum versus mehr als gigantische Kosten des Krieges selbst, in Erwägung zu ziehen waren. Gerade dies ist aber, allen uns bekannten Berichten nach, nicht geschehen. So erhebt sich der Verdacht, daß etwas veraltetes Kriegsgerät abgestoßen werden sollte, die jüngsten Entwicklungen aber weitgehend aus dem Spiel bleiben mögen. Den Schaden würde ohnedies die Völkergemeinschaft bezahlen, und die USA sind keine verläßlichen Zahler der UNO.

2. 1 Nach vollzogenem 1. 1 sind sowohl die G8-Staaten, vor allem die USA und Großbritannien, aber auch die anderen NATO-Länder, sowie die reichen Industrieländer zur Einsicht zu bringen, daß nur eine entsprechende Aufteilung von Basisbedarfgütern (nach Planwirtschaft) und Luxusgütern entsprechend einer gestaffelten Marktwirtschaft mit adäquatem Besteuerungsmodell nicht nur im Kosovo, vielmehr in den etwa vierundzwanzig Krisenherden sozio-ökonomische Hilfe, auch was deren eigene Strukturkonzepte anbelangt, bringen kann. Dies ist nicht im Zeichen von Revendikation, vielmehr aus dem Blickwinkel vielfacher klimatischer und historischer (Kolonialismus, Despotien, Makrokapitalismus etc.) Bedingungen im Sinne des Anfanges der Friedensschlüsse im Sinne Kants, Geben, ,,und zwar auch ohne Einernten der Früchte“, mit der einzigen Sanktion der Verhinderung eines ,,Ewigen Friedens als Kirchhof“ einzuleiten.

2. 2 Die Strukturierung einer künftigen europäischen, für uns zunächst mitteleuropäischen, Ordnung hat auch auf die vielerlei Voraussetzungen Rücksicht zu nehmen. Clintons Feststellung einer multiethnischen Gleichheit in einem Staat ist eine Farce, wie man in nahezu jedem Staat der USA sehen kann. Vielmehr ist Kronprinz Rudolphs (unterstützt durch Menger), Masaryks oder Kreiskys Konzept einer Staatenföderation von Kleinstaaten mit vielen Ethnien als Modell in Betracht zu ziehen, was im Balkan unter Tito nur durch dessen Aura und unter Berücksichtigung des ehemaligen Vielvölkerstaates, dem er aus dem Partisanenkrieg heraus und in die Schaukelpolitik hinein, gelegentlich (nach den Untersuchungen von Dr. Zoran Mimica) den völkerrechtlichen Status eines Drei-Kammersystems gab, wobei die zweite und dritte eben keine Parteienkammern sein durften.

2. 3 Der präpotenten Attitüde einiger Intellektueller, welche für die fünfzehn EU-Mitglieder eine Verfassung von Verfassungen postulieren, für die Paupers in Osteuropa jedoch nur eine Charta (Habermas’ Konzept idealen Kommunikationspostulats ist hier aus nicht darzulegenden Gründen keine Ausnahme) – was sicherlich den englischen Intellektuellen so nicht recht ist – muß durch den oben angesprochenen zweiten Marshall-Plan – also Konzessionen ohne geheime Revendikationsabsichten – der Boden entzogen werden. Wir haben es, nach Umberto Eco und anderen, heute in Europa durchwegs mit Staaten vieler Ethnien zu tun, denen à la longue sukzessive Gemeinde-, Bezirks-, Bundeslands-, Staatsbürgerschaftsrecht, sowie zuletzt EU-Recht, auch das aktive und passive Wahlrecht, dynamisch zuzugestehen ist, je schneller, desto besser, je gründlicher, desto notwendiger.

2. 4 Die Megakonzern-Industrie mit ihren immer weiter undurchschaubaren Mittel-Zweckrelationen des Gebrauchs (und deren Magic-Apprentice-Phänomen), den Arbeitsteilungsrelationen primär vertikaler Art (und deren institutionellen Rahmenformen – der Invisible Hand) sowie der abstrakten Tauschrelationen (und dessen In-God-We-Trust) sind neben ihrer kybernetischen Vernetzung durch die kartesianische Konstitution des Argumentum a priori (mit stets aufgegebener Ausschaltung des Spiritus malignus) zu dechiffrieren. Der dadurch gegebene neue Freiraum von den je anderen Gemeinschaftsgebilden her auf uns ist einer Form neuer Verbindlichkeit zuzuführen: Keine alten Werte, keine modernen Relevanzen, einzig die Funktionalisierung besagter abstrakter Mittel durch die Würde des je Nächsten kann unser Gemeinwesen in die Verbindlichkeit der Fraternité überführen, die seit 1791 zugrunde gegangen ist. Ob dies politisch ausreicht, ob nicht vielmehr zur Friedenssicherung eine neue kantonale Ordnung mit Populationen von Gebieten zwischen zwei und fünf Millionen bei Abschaffung stehender Heere, was Kant mit einem montenegrinischen Bischof gemein hatte, bleibt zur Diskussion und erfordert mündige Bürger im Umgang mit dem je Nächsten und ohne die vermaledeite Selbstspiegelung im Anderen, die Karl Marx seinen ganzen Humanismus schon 1844, angesteckt durch die Idealismen der Hegelschen Rechten, verdarb.

2. 5 Schließlich ist der Verschiedenheit der Ethnien und Religionen zu gedenken. Für je andere können wir wenig. Für die je eigene ist der Primat des Oberhauptes wieder als Servus servorum omnium umzugestalten, dem Stifter gemäß, bis zu dessen angeblicher und erhoffter Wiederkunft. Im Jahre 1915 soll Papst Benedikt XV. (nach P. van Paassen) zu Weihnachten an der deutsch-französischen Front gefeiert haben. Doch die Stahl- und Kohlemagnaten der beiden Länder wollten den Frieden nicht, ebenso wie die Großmachtblöcke ihre Vormachtstellung heute nicht aufgeben wollen. Also wird sich, solange er noch halbwegs Kraft zum Reisen hat, der Papst wohl oder übel an die Fronten oder die diplomatischen Stätten der jeweiligen kriegsführenden Hauptstädte begeben und bleiben, bis Frieden ist; sodann käme die nächste und wieder nächste Kriegszone in Betracht. Vor dem Verlassen seiner Kräfte möge doch endlich der durch den Faschisten Mussolini eingesetzte absolute Monarch (mit den nepotistischen Kardinal-Ministern seiner Kurie) aus dem zum Museum erstarrten Vatikan ausziehen und als Patriarch des Abendlandes in seine Bischofskirche und -wohnung, den Lateran einziehen, den Vatikan an den Meistbietenden und Würdigsten verkaufen und das Geld den Armen schenken, wie dies der Stifter dieser oft pervers erscheinenden Heilsbewegung zugunsten nämlich des Heiles des je Nächsten, verlangt hatte. Ohne viel Zeremoniell und Tam-Tam würden dann die Prälaten-Botschafter aus den jeweiligen Ländern abgezogen, um auch dem akuten Mangel an glaubwürdigen Vertretern entsprechende Abhilfe zu schaffen und Raum zu geben. Ihre diplomatische Erfahrung könnten sie ja als weise Männer dem Friedensdienst zur Verfügung stellen: Schalom.

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